Malen heißt die Seele photographieren.
Texte
1993 habe ich mein erstes Buch veröffentlicht. „Keine Angst mich zu verlieren“ ist eine Sammlung von Gedanken, Texten und Bildern. Einige davon sind in dieser
Rubrik zu finden und natürlich kommen auch aktuelle Texte dazu.
Wie alles auf meiner Homepage ist die Sache noch nicht komplett, sondern wird schön langsam wachsen. Aber schön, dass Du Zeit findest, in meinen
Gedanken zu schmökern.
Der Maler
Inmitten von Leinwand und Farbtöpfen, zwischen Pinseln, Skizzen und gedankenübersäten Papierfetzen stand DER MALER.
Seine Augen wirkten müde, aber keineswegs leer. Die Ringe darunter waren eine Spur dunkler als gewöhnlich und der Bart schien um einige weiße Haare reicher
geworden zu sein. Seit Nächten hoffte er, ein Ideensamenkorn möge aufgehen, ganz zaghaft den ersten Spross ins Licht des beginnenden Tages strecken,
wachsen und durch fleißiges Gießen, Hegen und Pflegen zu einem stattlichen Kunstwerk werden.
Keine Künstlichkeit, sondern Aussage, Botschaft, Hilfe und vielleicht sogar Trost sollte es beinhalten. Doch so sehr er auch grübelte, seine Stirn in Falten legte, er
förderte einfach keine „weltbewegenden” Themen zutage.
Ein Monument musste es werden, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte.
Aufzeigen sollte es, anklagen. - Eine Hymne an die Menschlichkeit. - Und dafür, so dachte der alte Mann, brauch man natürlich eine ganze Menge Zutaten:
Einen großen Topf blutroten Krieges, die braunrote Farbe der afrikanischen Erde, die sich als Staubkorn in die großen Augen hungernder Kinder schleicht, einen
ausgefransten Borstenpinsel um die Folter auf die Leinwand zu bringen, einen Topf von diesem neuen Braun, das vor vielen Jahren schon einmal so modern
gewesen war, und das sich so gut mit Blau mischen lässt.
Ein fahles Gelb für den Neid, ein krankes Grün für die sterbende Natur und ein fast durchsichtiges Weißlich-Blau für die Tränen, ganz unten am Bildrand.
Groß sollte es werden, erhaben und gegenwärtig. - Ein Lebenswerk!
Alles war bereitgestellt, sogar ein Dunkelschwarz für die Trauer. Nur eines fehlte dem alten Mann: Ein Entwurf - der Samen, um das Bild vor seinem geistigen
Auge erstehen zu lassen. Und mitten im eifrigsten Grübeln, mitten am Vormittag läutete es an der Tür.
„Hallo!”, sagte Ricco.
„Hallo!“ erwiderte etwas mürrisch der Maler.
Ricco, ein elfjähriger Junge aus dem Nachbarhaus, kam öfter um dem Maler stundenlang zuzusehen, wie das aufdringliche Weiß der Leinwand zurückgedrängt
wurde durch die Hand, die es so vorzüglich verstand, die Gedanken des Malers in Bilder zu fassen.
„Du siehst müde aus, unzufrieden und schlecht gelaunt.“ diagnostizierte Ricco und der alte Mann erzählte ihm von dem Problem, das ihn seit Nächten
beschäftigte.
„Das ist ganz einfach‘, sagte der kleine Mann, „es hätte keinen Sinn, ein solches Bild zu malen und darum wehrt sich auch dein Innerstes damit zu beginnen. Du
kannst den Großen nicht einfach ein riesiges Werk vor die Nase setzen und dann darauf warten, dass sie es begreifen und sich womöglich auch noch ändern. Es
ist genauso, wie in dir ein Bild entsteht. Versuche in jedem deiner Bilder irgendwo ein kleines, unscheinbares Samenkorn zu verstecken. Wenn die Menschen
deine Bilder anschauen, wird die Saat den Weg in die Herzen finden. Und dort kann das Korn nur hinein, wenn es klein genug ist. Dort istes an der Zeit zu
wachsen und für Veränderungen zu sorgen.”
Der kleine Mann wurde immer leiser mit seinen Worten, bis er schließlich ganz verstummte.
Der alte Mann schien weit fort zu sein, mit seinen Gedanken, so als hätte er gar nicht zugehört.
Doch plötzlich hob er den Kopf, der ihm auf die Brust gesunken war und sagte verstehend:
„Ich war ein Narr, wollte die Menschheit mit einem einzigen meiner Bilder aufrütteln, wachschütteln, zum Handeln veranlassen. Du hast recht, es war töricht,
obwohl ich es hätte wissen müssen.”
Und der alte Mann fing an, kleine Samenkörner in seine Bilder zu säen und nach Jahren merkte er, die Saat begann aufzugehen.
Schlagzeilen
Schlagzeilen
erzählen
täglich
von Angriffen,
vom Sterben,
vom Leid.
.
Die Ortsnamen
ändern sich,
der Tod
bleibt derselbe.
Schon jahrelang.
Tag für Tag.
All-täglıch.
.
Es geht einem
nicht mehr zu Herzen,
höchstens ein bißchen
unter die Haut.
Keine Angst mich zu verlieren,
Keine Angst mich zu verlieren,
.
wenn man mich beim Tempelhüpfen
ertappt,
wenn sich die Anderen
meinen Kopf zerbrechen,
wenn ich für einen Phantasten
gehalten werde.
.
Keine Angst mich zu verlieren,
.
wenn sich ein Abschied
ins Leben schleicht,
wenn mich Blicke
mit Widerhaken treffen,
wenn Kritiker lautstark lächeld
meine Träume erwürgen.
.
Keine Angst mehr!
Ein Korb voller Wörter
Ich habe
einen großen Korb
voller Wörter,
um sie auszuschütten,
um Gedanken wachsen
zu lassen,
um Dir zu sagen,
wie ıch fühle.
.
Doch
braucht es
keine Worte,
bei Augen
wie Deinen.
Du bist
Du bist
aus meinem Tag gegangen.
Am Fenster stehend,
sehe ich dir nach.
Deinen grenzenlosen Zärtlichkeiten,
uferlosen Umarmungen.
.
Doch die Zeit
ist unserer Liebe schlecht bekommen.
Abgemagert,
ausgezehrt,
erstickt am Wort.
.
Es muss wehtun,
damit es nicht mehr wehtut.
.
Du bist
aus meinem Tag gegangen.
Aber wenn ich nun sagte,
du hättest mein Lächeln mitgenommen,
würde ich lügen.
Niemals sattlieben
Du
atmest,
schläfst neben mir.
.
Gestern abend,
rubinroter Wein,
deine ansteckende Fröhlichkeit,
deine Worte ım Ohr:
Ich hab dich lıeb.
Ganz leise,
verträumt.
.
Ich spüre noch
deine starken Hände,
deinen weichen Mund,
der alles fand.
Fest
hieltest du mich.
Fest.
Haut auf Haut.
In dem Zimmer,
dem die Heizung fehlte.
Doch ich hatte dich
und du hattest mich.
.
Niemals sattlieben!
Ganges
Fruchtbare und
furchtbare Mutter,
aus göttlichem Nektar geboren,
Magnet aller Hoffnungen.
Benares, Stadt des Lichtes.
Sonnenaufgang am Ufer des Flußes,
dessen Wasser seit jeher
das Leben und Sterben begleitet.
Unveränderlich,
wie die Rituale,
denen es täglich zusieht.
Gespenstische Zeitlosigkeit.
Seit tausend Jahren.
In tausend Jahren.
Klänge, Bilder und Düfte.
Bettelmönche, Pilger,
heilige Männer, Kinderspiele,
Leben und Tod.
Im heiligen Strom eintauchen,
sein Wasser trınken,
an seinem Ufer sterben,
die Asche durch ihn
ins Meer tragen lassen.
In das Meer, in dem auch
„Mutter Ganga” ihr Ende findet
und auf die Wiedergeburt
als kristallklarer Regentropfen wartet.
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